Wer hätte das gedacht: Mannheim ist ein Zentrum der Dunkelheit. Zumindest ist die Quadratestadt eine Hochburg der regionalen Gothic-Szene. "Da geht es in Frankfurt vergleichsweise familiär zu", sagt Jens aus Aschaffenburg. Jens ist 34 Jahre alt und Chemieingenieur. Regelmäßig kommt er zum "Super Schwarzen Mannheim", einer Party im MS Connection in Neckarau. "Hier gibt es fast alle Strömungen des Gothic zu hören", sagt Daniel, ein 37-jähriger Bauarbeiter aus Homburg, und ergänzt: "So etwas Großes gibt es nirgends. Ich bin nicht der Einzige, der dafür 150 Kilometer anfährt."
Jürgen Welzenbach, der das "Super Schwarze Mannheim" organisiert, nennt es das "vielleicht größte Indoor-Event der Schwarzen Szene in Europa". Jeden Monat kommen demnach zwischen 1000 und 2000 dunkle Gestalten angeflattert.
Hier können Daniel und Jens in schwarzer Lackkleidung und Schminke, hohen Plateauschuhen, Nietenhosen mit Ketten oder Irokesenschnitt rumlaufen. Auf der Arbeit eher nicht, sagt Jens: "Die Kollegen wissen, dass ich in der Szene bin, aber da verdecke ich sogar die rasierten Schläfen."
Christian Spannagel, Professor für Mathematikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg, trägt seine schwarzen Plateauschuhe, Schlaghosen und seine Fledermaus-Shirts im MS Connexion und in der Hochschule. "Nur den Zylinder, den lasse ich weg. Mir ist es wichtig, meinen Studenten zu zeigen, dass man zu seiner Persönlichkeit stehen muss. Die werden später mal Lehrer und sollen diesen Gedanken an ihre Schüler weitergeben."
Melancholische Gestalten
Warum ist er ein Gothic? "Ich habe mich in dieser schwermütigen und total unaggressiven Szene schnell wohlgefühlt." Die Melancholie spiele sich bei Gothics eher im Innern ab. "Man hat selten Events, auf denen alle traurig sind." Gothic "sein" hat für ihn viel mit Nachdenken zu tun - über sich und die eigene Endlichkeit. Kennt er Satanisten? "Diese Verbindung halte ich für falsch und sehr oberflächlich. Ich kenne knapp 40 Leute aus der Szene, meines Wissens geht da nachts nicht mal einer auf Friedhöfe." Tagsüber schon. "Klar, man genießt schöne Friedhöfe."
Christine Kaiser, Mannheimer Jugendreferentin der katholischen Kirche, sagt: "Ich persönlich habe Gothics nie als Bedrohung gesehen. In der Jugendarbeit habe ich aber schon festgestellt, dass schwermütige Leute angezogen werden. Aggressiv sind die aber auf keinen Fall, die ziehen sich eher in sich zurück."
Auch Aussagen der Polizei und der Stadt legen die Friedlichkeit der Szene nahe: "Für die vergangenen Jahre habe ich keinerlei Vorkommnisse gefunden", sagt zum Beispiel Polizeisprecher Martin Boll. Also weder schwarze Rituale noch Ruhestörungen - der Lebenden nicht und der Toten nicht. Markus Scherr vom Städtischen Eigenbetrieb Friedhöfe hat ebenfalls noch keine Beschwerden vernommen: "In den drei Jahren, in denen ich da bin, sind Gothics tagsüber nur einmal an meinem Büro vorbeigelaufen. Das war' s."
Noch zwei Hinweise darauf, dass Mannheim eine mindestens regionale Hochburg der Szene ist: Das "Batcave" in Q 7 ist einer der größten Bekleidungsläden für Gothics in der Region. Außerdem kommt eine der großen Bands der Szene aus Mannheim, die Rede ist von der 1991 gegründeten Band "Crematory", die im August beim Wacken-Open-Air in Schleswig-Holstein auftritt, einem der größten Heavy-Metal-Festivals der Welt. Die Lieder drehen sich oft um Vergänglichkeit und Tod. Wie schon der Bandname, übersetzt "Krematorium", andeutet. "Das war schön aufmüpfig und blieb im Kopf hängen ", sagt Gerhard "Felix" Stass, der Sänger. "Außerdem hat der Name einen coolen Schriftzug gegeben. War damals nicht unwichtig." Warum trägt er Schwarz? "Es ist eine schöne Farbe, die mir steht. Außerdem kaschiert sie die Pölsterchen."
Die Gothic-Szene in der Region
Die Gothic-Kultur erwuchs Anfang der 80er Jahre unter anderem aus dem Punk. Gothic kann ein Lebens-, ein Musik- oder ein Kleidungsstil sein.
Charakteristisch ist eine schwarze Kluft und oft die Beschäftigung mit Themen wie Vergänglichkeit und Tod.
Wie viele Gothics es in der Region gibt, ist nur schwer abzuschätzen. Viele tragen im Alltag kein Schwarz.
Zahlreiche Insider vermuten, dass es in Mannheim eine der größten Szenen der Metropolregion, wenn nicht des Südwestens gibt.
Das "Batcave" in Q 7 ist das einzige Bekleidungsgeschäft für Gothics in Mannheim. Inhaber ist der 39-jährige Holger Schneider. trös
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