Flüchtlinge - Seit gestern kommen am Hauptbahnhof ständig Züge mit Asylbewerbern an und werden hier weiterverteilt

Postgelände als Drehkreuz

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 

Familien zuerst: Mit dem Zug angekommene Flüchtlinge werden nach kurzer Wartezeit auf dem alten Postgelände auf Busse verteilt.

© Prosswitz

Das alte Postgelände am Hauptbahnhof soll in den kommenden Wochen Drehkreuz für Flüchtlinge werden. Gestern gegen 6.30 Uhr kam der erste Zug mit 480 Männern, Frauen und Kindern aus Salzburg an, die auf neun Reisebusse verteilt und nach Mannheim und Heidelberg, aber auch nach Rheinland-Pfalz, Hessen und ins Saarland weitertransportiert wurden. Für die Nacht zum Mittwoch wurden zwei weitere Züge mit jeweils 450 Menschen erwartet, ebenso für die kommenden Tage oder Wochen.

Über den Toren sieht man Ziffernkombinationen, daneben hängen noch Zettel. "Mittelstraße, Egellstraße, Langstraße" heißt es da. Früher wurden hier Briefe für die einzelnen Zustellbezirke der Post verladen. Nun sitzen, liegen, kauern hier Menschen. Erst am Abend vorher hat eine Löschzugbesatzung der Berufsfeuerwehr eilig Bierbänke und Tische, die Eichbaum ganz kurzfristig und kostenlos zur Verfügung stellte, sowie eine Reihe Dixiklos und Scheinwerfer aufgebaut.

Polizei muss es regeln

Aber obwohl in dieser Halle knapp 500 Menschen sind, ist es verhältnismäßig ruhig, sehr ruhig. Man hört, wie das Notstromaggregat des Technischen Hilfswerks (THW) Ladenburg brummt. Viele der Flüchtlinge haben den Kopf auf die Tische gelegt, Pullover über den Kopf gezogen. Andere klammern sich an ihre Plastikbeutel, lehnen an Rucksäcken oder in Ecken an den Wänden, sitzen einfach nur da. Viele der Kinder wirken apathisch, andere wirbeln, völlig aufgedreht, kleine Stofftiere oder Spielzeuge durch die Luft.

Zehn oder elf Tage, so sagt ein junger Syrer, seien er und seine Frau nun ununterbrochen unterwegs. Genau weiß er es nicht. Er weiß auch nicht, wo er eigentlich gerade ist. Nach Dortmund würde er gerne, da seien Verwandte. "Nach Schweden" ziehe es ihn, ruft da ein anderer Mann, der glaubt, er habe einen Offiziellen vor sich. Doch das sind Ausnahmen - fast alle der Menschen, die sehr müde und abgekämpft wirken, warten einfach ganz geduldig, was nun mit ihnen passiert.

Anfangs weiß das keiner so richtig. Die vom Regierungspräsidium bestellten Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma kommen zu spät, auch die zwei Dolmetscher sind zunächst nicht da. Polizisten versuchen, sich mit Englisch zu verständigen - was nur teilweise klappt.

Letztlich ist es Frank Hartmannsgruber, Leiter des Polizeireviers Oststadt, der mit seinen Leuten und zwei Mitarbeitern des Regierungspräsidiums versucht, den Ablauf einigermaßen zu strukturieren. "Familien mit Kindern sollen zuerst einsteigen und in die Busse, die nicht mehr so weit fahren", gibt er als Regel aus. Doch sonst bleibt es völlig dem Zufall überlassen, wer mit wem in welchen Bus steigt, später in welchem Bundesland landet.

Im Eishockey-Mannschaftbus

Manchmal winkt, fuchtelt, ruft jemand, weil er unbedingt noch zu einem Bekannten, einem Freund in den gleichen Bus will. Aber sonst bleibt alles ruhig, die vorsichtshalber überall postierten Polizisten müssen niemanden zurückdrängen, die Polizeihunde bleiben im Auto. "Aber man weiß ja nicht, was für Leute da kommen", murmelt ein Beamter.

Nach und nach rollen Busse vor, Flüchtlinge steigen ein. Mal humpelt jemand an zwei Krücken, mal klammert sich jemand an seine Saz, ein Saiteninstrument. Ein Bus wird Benjamin Franklin Village ansteuern, zwei Heidelberg. Der Mannschaftsbus der "Bietigheim Steelers", Meister in der zweiten Eishockeyliga, bringt Flüchtlinge nach Hanau, ein anderes Fahrzeug fährt nach Trier, eines ins Saarland. Einmal wird es einem Mädchen schlecht - Johanniter kümmern sich um sie. Vier Mitglieder der Johanniter-Schnelleinsatzgruppe stehen mit Wasser und Keksen bereit; dazu kommen zwei Malteser; alles Ehrenamtliche. Gegen 8 Uhr ist der Einsatz beendet - vorläufig. Doch "es ist geplant, dass möglicherweise jeden Tag oder jeden zweiten Tag" wieder ein Zug ankommt, dessen Insassen hier weiterverteilt werden, so Polizeisprecher Norbert Schätzle. Unbefristet.

Ehemaliges Postgelände

  • Diringer & Scheidel hat im Dezember den vorderen, dem Bahnhofsvorplatz zugewandten Teil des Postgeländes mit rund 15 000 Quadratmetern gekauft. Hier sollen Wohnraum - auch für Studenten und Senioren - sowie ein Hotel (200 Zimmer) und Büroflächen entstehen. Den hinteren Teil mit der früheren Disco "Suite" erwarb ein anderer Investor.
  • Diringer & Scheidel hat das Areal jetzt kurzfristig kostenlos für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt.
  • Eigentlich hat das Unternehmen aber schon eine Abrissgenehmigung. Ab November sollen die Gebäude entkernt werden, 2015 ist - nach wie vor - Baubeginn vorgesehen. (pwr)

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen