Die Geschichte liest sich wie ein Kriminalroman von Dan Brown. John Myatt, ein gescheiterter Maler mit Fassadenfarbe aus dem Baumarkt auf der einen Seite. John Drewe, ein Herr in Schlips mit den nötigen Kontakten auf der anderen. Angereichert mit staatlichen Versäumnissen und hanebüchenen Betrugstaktiken ergibt diese Mischung den größten Fälschungsskandal der britischen Kunstgeschichte, der zur Verhaftung der beiden Täter durch das Scotland Yard führte. Am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg rollten Henry Keazor und seine Doktorandin Tina Öcal nochmals die Geschichte jener beiden Männer auf.
Der Anlass: Die Ausstellung "Fake" ist jüngst durch zwei neue Exponate aus dem berühmten Fall ergänzt worden. Professor Keazor ordnete die Ereignisse zeitgeschichtlich ein. Denn John Drewes Erfolg als Täuscher und Betrüger fußte auf der finanziellen Not vieler Kunstgalerien: Als Margaret Thatcher 1979 britische Premierministerin wurde, kürzte sie staatliche Fördermittel für Museen, Galerien und Theater im Zuge neoliberaler Politik radikal. John Drewe witterte seine Chance, spendete 20 000 Pfund an die Tate Gallery in London und öffnete sich damit das Tor zur Kunstwelt: Er galt als wichtiger Kunstförderer, kam in Kontakt mit der Londoner Kunstszene und bekam Zugang zu den Archiven verschiedener Museen und Galerien. Er startete seinen systematischen Raubzug, stahl Dokumente aus Archiven und fälschte deren Informationen zugunsten seines Plans: Die Fälschungen des Malers John Myatt auf den Markt zu bringen. Dafür klebte er Fotos der gefälschten Gemälde in selbstverfasste Ausstellungskataloge, die er heimlich in den Archiven platzierte.
Namhafte Galerien als Opfer
Die Londoner Tate Gallery steht im Zentrum des Skandals, war aber nicht die einzige namhafte Institution, die auf Drewes Schwindel hineinfiel. Drewe war ein Meister der Tarnung, fälschte seine Vita, seinen Namen, seine Zugangsdokumente und bekam prompt den Schlüssel zum Institute of Contemporary Arts,
Zu Beginn war Myatt ein erfolgloser Maler, der seine Fälschungen in einer Anzeige für 150 Pfund offen anbot - echte Fälschungen von Gemälden des 19. und 20. Jahrhunderts. So kam der Lenker zum Maler: John Drewe wurde Myatts Stammkunde, kaufte ihm eine Albert-Gleizes-Fälschung für 250 Pfund ab und verkaufte sie für das Hundertfache.
Myatt nahm die Hälfte des Gewinns dankend an. Von 1989 bis 1998 entstand ein millionenschweres "Arbeitsverhältnis". 200 Fälschungen wurden verkauft. Myatts Part war die Anfertigung der Gemälde, Drewe betätigte alle legalen und illegalen Hebel, um die Herkunft der Fälschung wasserdicht zu gestalten. Dafür fälschte er die Ursprungsurkunden und Echtheitszertifikate der kopierten Werke, führte anerkannte Auktionatoren, Galerien und Sammler hinters Licht.
Myatts Fälschungstechniken waren ebenso erstaunlich wie Drewes Fälschungstaktiken. Zum Beispiel tauchte der Maler seine Kopien in hochkonzentriertes Salzwasser, um sie "krustiger" erscheinen zu lassen. Er leerte den Inhalt eines Staubsaugerbeutels über die Ecken der Gemälde, um den Anschein von hohem Alter zu schaffen. Verteilt man eine Tasse Instant-Kaffee auf einem Gemälde, erklärt Myatt in einer Dokumentation, vergilben die Farbtöne. Es entstehen charakteristische Flecken auf der Leinwand, wiederum Zeichen fortgeschrittenen Alters.
Myatts Fälschungen kosten heute fünfstellige Beträge, weil sie selbst Sammlerstücke sind. Drewe dagegen sitzt im Gefängnis.
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