Fast wirkt es wie ein Zeitenwechsel: Die Band heißt jetzt Niedeckens BAP -Schlagzeuger Jürgen Zöller und Gitarrist Helmut Krumminga sind künftig nicht mehr dabei - das gerade erschienene Live-Album "Das Märchen vom gezogenen Stecker" klingt wie das perfekte Ende einer Ära. Doch für BAP-Boss Wolfgang Niedecken ist es eher der Beginn einer neuen Phase, wie er in unserem Interview verrät.
Herr Niedecken, nach Ihrem gut überstandenen Schlaganfall im Jahr 2011 ist die erste Frage zwangsläufig: Wie geht's?
Wolfgang Niedecken: Alles wunderbar auf der Reihe. Ich habe die Gelbe Karte wahrgenommen - und bin keiner von denen, die dann um Gelb-Rot betteln. Ich lebe gesund, mache meinen Sport, schlafe genug und weiß, dass ich jetzt nach der Tournee ausreichend Zeit zum Runterkommen brauche. Das Anstrengende sind ja nicht die Konzerte, sondern die Organisiererei dazwischen - das muss ich noch mehr . . . vergessen.
Eine Ihrer Töchter studiert demnächst Musikbusiness an der Mannheimer Popakademie. Dann kann sie ja künftig diese Aufgaben übernehmen und ins väterliche Geschäft einsteigen . . .
Niedecken: Ja, damit das mal jemand richtig macht (lacht). Die Popakademie wurde bei ihr nach meinem Besuch im Sommer 2013 zum Thema. Dann hat sie wie wild für die Aufnahmeprüfung gebüffelt - mit Erfolg. Sie hat bei unserer Produktionsfirma ein Praktikum gemacht - und alle waren hell begeistert. Diese Generation kennt sich aus mit elektronischen Medien - das ist unfassbar! Dagegen bin ich Höhlenmensch.
Man kommt auch nicht umhin, über die aktuelle Politik zu sprechen - Krieg in der Ostukraine, Dauerkrisen im Nahen Osten, deutsche Waffenlieferungen . . . Dabei sind Erster und Zweiter Weltkrieg derzeit ständig Thema in den Medien . . .
Niedecken: Das ist fast schon ein guter Zufall, dass dauernd diese Dokus laufen. Vielleicht kommt ja der eine oder andere mal auf die Idee, dass man nicht dieselben Fehler machen darf wie vor 100 Jahren.
Den Eindruck hat man gerade aber nicht wirklich, oder?
Niedecken: Naja, man sagt ja: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. So ganz glaube ich das noch nicht. Auf jeden Fall waren die Leute vor dem Ersten Weltkrieg nicht so vernetzt und informiert wie heute. Man konnte sie also schön ins Bockshorn jagen, einplanen und manipulieren. Heute muss man sich nicht mehr manipulieren lassen, wenn man sich bemüht, informiert zu sein. Aber: Die meisten Leute geben sich nicht wirklich Mühe. Ich habe das Gefühl, viele wollen einen großen Anführer, der das für sie regelt, damit sie in Ruhe RTL2 gucken können. Die schwer erkämpfte Demokratie in Mitteleuropa wissen sie gar nicht mehr wertzuschätzen. Diese Tendenz, jemanden einfach machen zu lassen, gibt es weltweit - Putin, Erdogan . . . Sie spiegelt sich auch darin, wenn bei der Europawahl Angela Merkel plakatiert wird. Dabei konnte man sie da gar nicht wählen.
Wir erleben jetzt eine ganz neue Phase der BAP-Geschichte, oder?
Niedecken: Ja. Als wir mit dem Material meines Soloalbums "Zosamme alt" auf Tour gingen, mussten wir das ja Niedeckens BAP nennen, und das steht natürlich auch auf dem Live-Album. Und dabei bleibt es jetzt. Die wirkliche Zäsur lautet: Die Ära der festen Bandbesetzungen bei BAP ist vorbei. Das geht einfach nicht mehr. Was ja auch ganz normal ist, wenn man sich unsere Lebensphasen und sonstigen Projekte oder Pläne anschaut. Es wird künftig einen Pool von Musikern geben, mit denen ich meine Sachen mache. Wie es aussieht, kann ich sogar den Percussionisten Rhani Krija an BAP binden - wenn ihn nicht gerade Sting zu seiner nächsten Welt-Tournee bittet.
Warten Sie mal ab, welche Udo-Dahmen-Schlagzeug-Jünger Ihre Tochter für Sie an der Popakademie scoutet . . .
Niedecken (lacht): Das kann ich mir vorstellen. Ich habe neulich in Luzern Jonny König von der Popakademie bei den Söhnen Mannheims gesehen - der ist unfassbar. Der hat mir viel Spaß gemacht - der ist mein aktueller Lieblings-Drummer, meine Musiker mal ausgenommen.
Trotzdem wiegt der Abschied von Schlagzeuger Jürgen Zöller nach 27 Jahren schwer, oder?
Niedecken: Ich kann den Gedanken daran gar nicht ertragen, dass ich mich auf der Bühne umdrehe und er nicht mehr da sitzt. Wir werden mindestens alle zwei Tage telefonieren - der Jürgen ist mein Freund! Aber er hat das wunderbar gemacht beim letzten Konzert in Bochum, ohne dass eine Schnulze daraus wurde. Ich bin sehr, sehr froh, dass so etwas auch mal respektvoll laufen kann.
An den Gitarren agiert jetzt Ulrich Rode statt Helmut Krumminga - ist das eine Dauerlösung?
Niedecken: Helmut hatte familiäre Probleme, wir haben uns auseinandergelebt. Er wird künftig wohl nicht mehr dabei sein. Vielleicht schreibt er noch Songs für uns, mal sehen.
Jetzt endet eine BAP-Phase, gibt es schon eine Idee, wie und wann es weitergehen könnte?
Niedecken: 2016 wird es eine Jubiläums-Tour geben. Arbeitstitel: "Diesmal nur die Hits" - das finde ich ganz lustig. Wir werden die Nummern zwar unserem jetzigen musikalischen Standard anpassen, aber die Leute sollen die Sachen alle kennen und zumindest mitsummen können. Und es gibt ja genug Material (lacht). Wir befassen uns aber auch mit neuen Songs und gehen 2015 ins Studio, wenn uns genug einfällt. Das, was wir jetzt mit der Band machen, ist so etwas wie der Gegenentwurf zu all den Bands, die nicht altern wollen: Ich möchte nicht ein Leben lang berufsjugendlich sein müssen.
Und wie wäre es mit den Hits auf Hochdeutsch zum Jubiläum?
Niedecken: Ketzerische Frage (lacht). Aber ohne Quatsch, die Idee hatte ich auch schon. Aber die ist schon wieder ad acta gelegt. Und frag' nicht nach Englisch - das braucht kein Mensch von BAP.
Wolfgang Niedecken
Der Sänger, Texter und Maler wurde am 30. März 1951 in Köln geboren und studierte dort bis 1974 freie Malerei an den Werkschulen der FH Köln. Beeinflusst von Bob Dylan, gründete Wolfgang Niedecken 1976 die Rock-Band BAP, deren Texte er ausschließlich im Kölner Dialekt verfasste. Schon mit dem zweiten Album "Affjetaut" (1980) gelang der große Durchbruch.
Seit der gerade abgelaufenen Tournee, die im März im Ludwigshafener BASF Feierabendhaus startete, heißt die Band Niedeckens BAP.
Als erste Veröffentlichung unter dem neuen Namen ist die Live-Doppel-CD "Das Märchen vom gezogenen Stecker" erschienen, auch mit Material vom Soloalbum "Zosamme alt" (2013).
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