Umwelt - Aussiedlung von über 2400 Tiere in die Lahnaue / Naturschützer mit Artenschutzgenehmigung

Frösche mit neuem Zuhause

Von 
Annika Rammler
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Ein Mann hält bei Tiefenbach einen Frosch in der Hand. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) rettete über 2400 Frösche und Molche aus den Becken des Klärwerks von Tiefenbach.

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Braunfels-Tiefenbach. Vom Becken des Klärwerks in den Plastikeimer. Hessens Frösche und Molche machen ganz schön was mit. Dafür haben mehr als 2400 Tiere jetzt ein neues Zuhause - und sind erstmals konkret gezählt worden.

Petra Gatz murmelt vor sich hin. "4, 9, 18, 23, 39". Die Tierschützerin des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) sitzt in Braunfels-Tiefenbach (Lahn-Dill-Kreis) auf einem Hocker, mitten in einer rund zwei Quadratmeter großen Plastikbox. Ihre grauen Gummistiefel stecken knöcheltief in dreckigem Wasser - und in Tausenden von Fröschen.

Gatz zählt die Amphibien, die ihre Kollegen eimerweise aus einem stillgelegten Klärwerkbecken anschleppen. Klingt absurd, ist aber wichtig: Denn das Zählen der Tiere hat hessenweit Bedeutung. Bislang gibt es keine fundierten Bestandszahlen zu Fröschen und Molchen. Alle Zahlen basieren nach Angaben des NABU lediglich auf Schätzungen.

Kläranlage außer Betrieb

"Die Tiere haben sich in den Becken unserer alten Kläranlage angesiedelt, die jetzt saniert und zu einem Regenrückhaltebecken umfunktioniert werden soll", sagt Sven-Hendrik Vogt, der Betriebsleiter des örtlichen Abwasserverbandes. Die Anlage ist seit drei Jahren außer Betrieb. In den regenwassergefüllten Becken hielten sich nach Zählungen des NABU mehr als 2400 heimische Frösche und Molche auf.

Um die Tiere vor der anstehenden Baumaßnahme zu schützen, sammelten 13 Helfer vor Baubeginn die Frösche und Molche ein und quartierten sie um. Die Tierschützer zählten genau: 2290 Grünfrösche, 89 Teichmolche und 65 Bergmolche bekamen ein neues Zuhause.

"Diese Zählung erlaubt erstmals Schätzungen, die Rückschlüsse auf die Fortpflanzungsrate von Grün-fröschen und Molchen ermöglichen", sagt Dominik Heinz, Amphibienexperte beim NABU Hessen. Weil Größe und Volumen der alten Klärwerkbecken bekannt seien und alle geretteten Tiere gezählt wurden, ließen sich nun Verhältniszahlen herleiten. "Da Naturgewässer nicht leergepumpt werden, konnten Experten bislang nur schätzen und hochrechnen. Wir haben jetzt konkrete Zahlen für einen bestimmten Raum", erläutert Heinz. Die Rettungsaktion habe so einen wichtigen Beitrag zur Erfassung des Arteninventars geleistet.

Die Grünfrösche leben jetzt in der Lahnaue. "Die Molche wurden in die umliegenden Tümpel verteilt", sagt Heinz. Die Naturschützer haben die neuen Lebensorte nach unterschiedlichen Kriterien ausgewählt. "Ruhige Gewässer eignen sich besser für die Fortpflanzung als Fließgewässer", erklärt Heinz.

Auch muss die neue Umgebung ausreichend Nahrung bieten. "Frösche ernähren sich von Insekten, die über Wasser leben. Dazu zählen Mücken und Libellen", so Heinz. Molche bevorzugen dagegen Tierchen unter Wasser. Deswegen konnten beide Arten nach Angaben des Amphibienexperten im stillgelegten Klärwerkbecken friedlich nebeneinander leben.

Die Idee für die Rettungsaktion kam vom Betriebsleiter des Abwasserverbandes. "Dass die Tiere hier wahrgenommen werden, ist einfach toll", sagt NABU-Mitarbeiterin Petra Gatz. "Das kommt nicht häufig vor." Und der Klärwerkbetriebsleiter hat noch mehr vor. Unmittelbar neben dem alten Becken sei ein neues Biotop geplant, "damit die Tiere, die zurückkommen, auch ein Zuhause haben", erklärt Vogt, der in Gummistiefeln und mit einem Kescher gewappnet selbst mit anpackte.

Um die Tiere überhaupt umsiedeln zu dürfen, mussten die Naturschützer eine Artenschutzgenehmigung bei der Naturschutzbehörde im Lahn-Dill-Kreis anfordern. "Grünfrösche, Teich- und Bergmolche gehören zu den bedrohten Tierarten. Es darf ja nicht jeder Frösche aus Gewässern mitnehmen und im eigenen Gartenteich wieder aussetzen", sagt Heinz.

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